KONR@D, Ausgabe 5/99, Seiten 164-171
mit freundlicher Genehmigung der Redaktion
Als der Philosoph Peter Sloterdijk einmal über die Gewalt nachdachte, fand er heraus: Gewalt ist gut, denn Gewalt macht das Tier zum Menschen. Lange war das Tier seinen Feinden davongelaufen, doch dann bleib es stehen und erfand das Werfen, und als es traf, da wurde das Tier zum Menschen, der erkannte: Wenn ich werfe und treffe, dann kann ich mir eine eigene Welt erschaffen. Und so verdammte sich der Mensch zum Werfen.
In der Stadthalle von Hagen haben sich 700 Werfer versammelt, um ein Fest zu feiern. Jeder von ihnen hat seinen Computer mitgebracht, den er einstöplselt in ein Netz, das ihn mit den anderen Computern verbindet. Drei Tage werden die Werfer hier verbringen, am Ende stehen die Besten von ihnen auf einer Bühne, und die Getroffenen beklatschen sie. So geht es bei einer LAN-Party, kurz für "Local Aera Network"-Party, also eine Party innerhalb eines lokalen Netzes.
Die Menschen, 695 Jungs und 5 Mädchen, sind nach Hagen gefahren, um sich im Computerspiel zu messen, vor allem in Quake1, Quake2 und Quake3, drei Spielem in denen es um zwei Dinge geht: Laufen und Schießen. Wer am schnellsten läuft und am besten schießt, hat gewonnen. Gespielt wird auf verschiedene Weisen: 1 gegen 1, 2 gegen 2, 4 gegen 4. Oder jeder gegen jeden. Die Schauplätze sind Ruinen mit Lavagruben und Arenen, die aussehen wie Hochsicherstrakte. Wer feige ist, kann weglaufen, aber niemand kann sich verstecken. Gezählt werden die Treffer, und wer nach 2 mal 15 Minuten die meisten hat, ist weiter, wie bei einem Fußballspiel, in dem es nicht darum geht, ins Tor zu schießen, sondern den Gegenspieler umzuschießen.
Quake1 und 2 sind in Deutschland indiziert, dürfen also Minderjährigen nicht zugänglich gemacht werden. Doch es gibt Ausnahmen, Benjamin Reichert ist eine: Er ist 16 Jahre alt und spielt seit zweieinhalb Jahren Quake1. Sein Kampfname ist Kane, und weil als einer der besten Quake-Spieler der Welt gilt und trotzdem einen gesunden Eindruck macht, kam eines Tages Post von der Stadt Oberhausen: Das Jugendamt erklärte, dass das Spiel für Benjamin unbedenklich sei. Seitdem darf er bei allen LAN- Partys mitspielten.
Benjamin ist gekommen, um zu gewinnen, um Preise mitzunehmen, Hard- und Software im Wert von mehreren tausenden Mark. Deshalb tritt er in verschiedene Tunieren an, seine Königsdisziplin aber ist Quake1. Nicht alle Teilnehmer wollen siegen, den meisten reicht es, die Leute, die sie im Internet kennengelernt haben, auch mal zu treffen, und eine Spielerin, Eva aus Hannover, Kampfname: Dazzle, ist aus dem besten aller Gründe nach Hagen gereist: Sie hat sich verliebt in einen, den sie bislang nur aus dem Netz kennt, in Marco aus Berlin. Er wiederum ist hier, um bei Quake2 der Beste zu sein.
Normalerweise gehen die Quake-Spieler im Internet aufeinander los, und die besseren unter ihnen haben sich zu Clans zusammengetan, zum Clan Schroet Kommando etwa, zu dem Benjamin gehört. Weil aber das Internet manchmal wackelig ist, gibt es die LAN-Partys mit einem eigenen lokalen Netz, einem rasend schnellen, das so gut wie nie abstürzt. Das hier in Hagen könnte die Datenmenge einer ganzen CD-Rom innur einer Sekunde durch die ganze Halle jagen. Zum Quake-Spielen schnell genug
Freitagnachmittag, die Spieler kommen. Jeder schleppt seinen Monitor, seinen Festplattenturm und all das in den Saal, was er sonst noch braucht: Schlafsack, Kekse, Chips, Energiegetränke. Einer hat eine Tischplatte von zu Hause mitgebracht, weil er mit anderen Tischplatten nicht klarkommt: Einige haben ihre Freundin dabei, wenige ihre Mutter. Auch Minderjährige dürfen mitmachen, wenn den Veranstaltern eine Einverständniserklärung der Eltern vorliegt. Die Tische in der Halle sind so sortiert, dass die einzelnen Clans zusammensitzen können. Gegen 19 Uhr ist es voll, die Monitore strahlen, die Betriebtsventilatoren laufen. Ansonsten ist es ruhig, alle Spieler haben Kopfhörer auf. An einer Tischgruppe sitzt der Quadaver-Clan, ihre Spezialität ist das Teamspiel. Ihr Anführer nennt sich Haudraufwienix, genannt Haui. Mit seinen langen ungewaschenen Locken und dem kleinen Kinnbärtchen sieht Haui aus wie der Rapper Maximilian von der gruppe Freundeskreis, doch für Musik hat Haui keine Zeit: Er will besser werden, bekannter werden, denn nur wer gut ist, ist auch berühmt im Netz. Auf dieser LAN-Party will der Quadaver-Clan so weit kommen wie möglich, doch die Jungs wissen noch nicht, wie weit es ist.
Gegen 20 Uhr kommt Shurik. Er heißt im wirklichen Leben Alexander, ist 19 Jahre und möchte nach dem Abitur Trompete studieren. Shurik hat sich gestern die Haare abrasiert, jetztz sieht er aus wie ein Krieger. Sein Krieg heißt Quake2, dafür übt er bis zu sieben Stunden am Tag. Andere Spieler sagen über Shurik, er sei nicht ganz normal, für ihn sei Quake etwas sehr Ernstes, der habe aber keine Freunde. Doch Shurik hat seinen Clan, MTW für Mortal Team Work. Sein Clan bewundert ihn, weil er einen Trefferinstinkt hat.
Niemand spricht hier vom Töten, niemand wird hier Killer genannt. Auch Shurik nicht, obwohl er ausssieht wie einer, dem irgendwann mal alles zu viel sein könnte und der dann Dinge tut, an die er sich später nicth mehr erinnern kann. Doch Shurik ist sanft, das Einzige, was ihm zu schaffen macht, sind seine Nerven. Er schwitzt leicht, und weil er mit feuchten Händen nicht treffen kann, hat er sich einen Stapel Papierhandtücher neben den Rechner gelegt. Er hat Angst, am Ende zu verlieren, nur weil er Nerven und Schweiß nicht im Griff hatte. Das ist ihm schonmal passiert, und da haben sogar seine Clan-Kollegen ein bißchen Angst bekommen vir Shurik, dem sonst so Sanften.
An diesem Freitagabend passiert nicht mehr viel, die Spieler spielen sich ein, trinken einige Biere miteinander, der Wettkampf soll erst am nächsten Tag losgehen. Das Licht in der Halle wird gedimmt, bis Sonntag wird es hier si dunkel sein wie im Kölner Dom. Von oben, von der Galerie, wirkt die Hagener Stadthalle wie die Kommandozentrale eines Geheimdienstes: Hunderte von Menschen, angestrengt über ihre Tastatur gebeugt, mit starrem Blick in Richtung Bildschirm.
Samstag, 10 Uhr. Die Halle ist immer ncoh voll. Einige spielen schon wieder, andere Schlafen noch: in ihren Schlafsäcken, unter den Tisch, auf Stühlen, manchen ist der Kopf vornüber auf die Tischplatte gefallen. Wer wach wird, blinzelt verwundert in das Dämmerlicht des Saales, weiß einen Moment lang nicht, wo er ist. Dann zieht er sich T-Shirt und Jeans an und setzt sich wieder an den Rechner. Waschen ist überflüssig, zum Frühstück gibt es das gleiche wie zum Abendbrot: Chips, Kekse, Cola. Wichtig ist hier nur Quake. Wenn jemand spricht, dann über technische Probleme, wenn jemand lacht, dann über die Dummheit des Gegners.
Auch Shurik spielt wieder: Er ist Quake-Buddhist. Regungslos sitzt er wie ein Sinnsucher vor dem Bildschirm, doch er sucht nicht die Wahrheit, sondern den Feind. Entdeckt er ihn, dann sagt er: "Du gehörst mir ! ", doch der Feind hört ihn nicht, er sitzt an einem anderen Tisch. Shurik zeigt die Müdigkeit eines Schlafkünstlers: irre wach und unendlich müde. Er trocknet sich die Hände und bemerkt, dass Marco aus Berlin neben ihm sitzt, Marco, der sich für den besten Quake2-Spieler Europas hält. Er hat Shurik zugesehen, um herauszufinden: Wie macht Shurik das? Entdecht hat er nichts.
Eva aus Hannover hat im Auto geschlafen, selbst ein Quake-Mädchen will sein Mädchenzimmer haben, und wenn es das Auto ist. Als Eva zurückkommt in die Halle, steht Marco auf, geht zu ihr und lächelt. Vielleicht hat Marco gestern Abend etwas kennen gelernt, das besser ist als Quake2. Haudraufwienix hat gar nicht geschlafen, er musste trainieren. Ungefähr 20 Unentwegte haben die Nacht durchgespielt: Übungsduelle.
Es heißt, in Deutschland befänden sich jeden Abend 10000 Quake-Spieler im Netz, die meisten von ihnen noch Teenanger und junge Studenten, die es sich leisten könne, ihren Tagesablauf auf den Kopf zu stellen. Solange das Internet am Tag noch zu teuer ist, spielen die Quaker in der Nacht zu Spartarifen. Doch was sind das für Menschen, was treibt sie?
Das Turnier hat begonnen, und Benjamin, also Kane, fegt seinen ersten Gegner so gnadenlos weg wie die brasilianische Fußballnationalmannschaft einen ostdeutschen Amateurverein. Bevor ein Spiel beginnt, verabreden sich die Spieler im Online-Chat, wie gespielt wird, sie tauschen Freundlichkeiten aus, dann schlägt Kane zu: 33 zu 3 gegen den Spieler SZO. Nebenbei unterhält er sich mit seinem Clan.
Einige Reihen weiter beobachten die Quadaver-Jungs ihren Kollegen SZO, einer sagt: "SZO will gleich nach Hause. Zu Mami." Über Kane sagen sie: "Kane, der Gott, hat Quake1 so oft gespielt, dass er nicht mehr überlegen muss. Der weiß immer, was sein Gegner tun wird." Nach dem Spielt sagt Kane: "Ein bisschen Respekt habe ich vor jedem hier, so richtig Respekt habe ich vor keinem." Kane könnte auch eine Freundin haben, doch er hat Quake, also keine Zeit für Mädchen. Neulich war er in Göteborg, dann auf einem Turnier in England, und demnächst fliegt er zu einem Wettkampf nach Neuseeland. Wie ein Popstar auf Tournee.
Haudraufwienix ist wieder wach, um 16 Uhr zieht er sich die Wolldecke vom Kopf. Er hat neben seinem Rechner geschlafen. Jetzt ist er frisch, ein Turnierspiel hat er noch nicht ausgetragen. Zur gleichen Zeit sitzt Shurik vor dem Bildschirm und sieht aus, als löschte er gerade ein paar überflüssige Dateien. Quake2 sind für ihn immer die gleichen Abläufe, er rennt durch Gänge und springt und schießt. Das neue ist immer nur das Verhalten des Feindes, doch was ist schon neu, wenn gute Feinde rar werden? Andere in der Halle schauen sich zur Zerstreuung Filme an, die sie aus dem Internet heruntergeladen haben, und wieder andere tauschen digitale Pornobilder aus, nur Shurik sitzt und sitzt und sitzt.
Viele Quake-Spieler suchen im Netz nach einem zweiten Leben, einer neuen Indentität. Hier können sie bei Null anfangen, hier werden sie nicht sofort verspottet. Wer hier gut ist, erhält Ruhm, hört zum erstenmal im Leben die Worte: "Hey, du kannst was." Quake-Spieler sitzten nächtelang vor ihren Computern, denn draßen , bei Tageslicht, sind sie oft Verlierer, für die sich niemand interessiert. Online finden sie Freunde und, wenn sie gut sind, Verehrer.
Viele Spieler, sehen nicht so aus, als könnten sie ein Mädchen für sie interessieren. Und, wie im Fall von Kane: Wer im Netz ein Star werden will, hat keien Zeit für Mädchen. Viele wollen immer besser werden im Quake-Spielen, sie hoffen darauf, dass es bald auch in Deutschland eine Profiliga gibt mit hohem Preisgeldern. Andere entdecken durch Quake, dass sie gut mit Computern umgehen können, es möglicherweise auch als Webdesigner zu etwas bringen würden. Dann läßt auch die Quake-Sucht nach, dann kommt die Lust auf andere Erfolge.
Sonntag: der Spielerausch. Es ist, als wären die Tage zuvor nur zum Warmwerden da gewesen. Nichts zählt mehr, nur das Spielen. Die ganze Halle sich in den totalen Wahnsinn. Kane sitzt mit offenem Mund vor dem Bildschirm, als staune er über sich selbst. Am Ende des Tages steht er in drei Finals. Im wichtigsten, 1 gegen 1, muss er gegen seinen großen Bruder antreten. Er heißt Ralf, ist 24, nennt sich Griff und ist Kanes Manger. Das Bruderduell geht schon aus Marketinggründen klar für Kane aus, nur einmal ruft Ralf laut: "Benjamin!", als könne er es nicht fassen, was sein kleiner Bruder da mit ihm treibt, in den dunklen Gängen von Quake1.
Der Quadaver-Clan ist nicht sehr weit gekommen, Haui und seine Jungs packen ihre Sachen, schließlich haben sie noch fünf Stunden Autofahrt vor sich. Haui sagt: "Wenn ich zu Hause bin, baue ich meine Rechner wieder auf, und dann gehe ich ins Netz. Weiterspielen. Marco, der Quake2 gewinne wollte, ist schon lange ausgeschieden, doch er hat Eva, der Rest ist ihm egal.
Die Halle wird leer. Nur einer sitzt immer noch: Shurik. Die Papierhandtücher sind aufgebraucht, und eben, nach dem Halbfinale, kamen zwei Jungen zu ihm an den Tische, die ihre Festplattentürme mitschleppten. Sie baten Shurik um ein Autogramm auf ihre Türme. Der Finalgegner von Shurik nennt sich AoD, Angel of Death, ein 16-Jähriger mit Slayer T-Shirt und Piepsstimme. Er gehört zum Clan uKN, "Uns kriegt niemand", und er ist so unscheinbar, dass er bislang niemandem aufgefallen ist, während des Turniers. Und der soll gegen den Krieger Shurik bestehen? Am Anfang des Spiels versteht er es, sich zu verstecken, so dass Shurik kaum zum Schießen kommt, doch dann hat Shurik verstanden. Zum letzenmal trocknet er sich die Hände, dann greift er an, der Werfer...